Donnerstag, 6. August 2009

Hundun – ein Evolutionstest

29.6. 2009

Kazue Haga & Jochen Röpke

Der Herrscher des Südmeeres war Hu [Jäh, Blitzschnell, Hastewas], der des Nordmeeres war Shu [Kannste]und der der Mitte war Hundun (Dauernde Schöpfung, Ungestalt). Hu und Shu trafen sich von Zeit zu Zeit auf dem Gebiet von Hundun, und stets behandelte sie Hundun mit der größten Freundlichkeit. Da berieten Hu und Shu, wie sie die Güte von Hundun vergelten könnten. Sie sprachen: "Jeder Mensch hat sieben Öffnungen, nur Hundun hat keine. Wir wollen ihm mal welche meißeln [bohren]!" Jeden Tag meißelten sie eine Öffnung. Am siebten Tag war Hundun tot.
(Zhuangzi, Antworten für Kaiser und Könige, 7; in: Günter Wohlfart, Zhuangzi, Auswahl, Einleitung und Anmerkungen, Stuttgart: Reclam, S. 114; Zhuangzi, 1998, Krügerverlag, S. 139)


Zhuangzi ist ein chinesischer Philosoph und Poet. Er lebte vor über 2000 Jahren. Kann uns eine solche Geschichte etwas lehren? Können wir etwas lernen?
Es gibt mehrere Interpretationen. Wir machen unsere eigene, ohne die anderen zu negieren.
Die Übersetzung von Hundun ist in der Regel „Chaos“. Hu und Shu als Chaosvernichter. Was meint Chaos hier? Chaos ist für Westmenschen ein eher negativ besetzter Begriff. In Japan verwendet man dafür gleichfalls Chaos (カオス). Parallel existiert auch das Wort Hundun (混沌, japanische Aussprache: konton) von Zhuangzi.

Im Chinesischen finden wir eine Verdoppelung des Schriftzeichens für Hundun 混沌 混沌. Die chinesischen Schriftzeichen für hun und dun enthalten beide den Radikal für „Wasser“. „Die hundun Ur-Suppe … sind ein gute Bild der chinesischen Vorstellung vom Chaos als einem turbulenten, sich dauernd von selbst erneuerndem Durcheinander“ (Wohlfart, S. 169f., unsere Hervorhebung). Hundun ein autopoietisches System? Chaos im Chinesischen hat auch die Bedeutung „unschuldig wie ein Kind“ was sich mit der Logik von Hundun überschneidet. Ein Kind ist im Daoismus das noch Neue, Angstfreie, Spontan- Handelnde, das Kreative und Nichtkalkulierende, das Freiseiende von Hedonismus, das Unternehmerische, der Beginn des Lebenszyklus.

Diese Sichtweisen erlauben uns Hundun evolutorisch zu interpretieren (Siehe auch die Anmerkungen von Günter Wohlfart in Zhuangzi. Auswahl., S. 169-171.) Chaos ist tragfähig, wenn man es als Turbulenz in einem sich selbst erneuernden, selbst-organisierenden System versteht. Hu, triggerhappy und der sich alles zutrauende, wissensarrogante Shu, sie wissen, wie man in Systeme interveniert, sie wollen es und sie machen es. Chinesisch-daoitsich wang wei, im Gegensatz zu wuwei (Nichttun/Nichthandeln). Sie wollen seine Funktion verbessern, auf Vordermann bringen, es zukunftsfähig macht, Exzellenz in sie einbauen, Evolution anschieben. Ergebnis: Ein System ohne Hundun-Charakter, ohne „Chaos“, ohne Turbulenz, ohne Leben, kindlos, evolutionstot. Sie mögen auch es gut meinen. Gutmenschen also. Was sie anrichten, die unbeabsichtigten Folgen ihrer Intervention, bewirken das Gegenteil.


Quelle: The Economist, 25. Juni, 2009.

In unserer modernen Gesellschaft sind die Hus und Shus allgegenwärtig, leicht auszumachen in Politik, Religion, Recht & Ethik, Wissenschaft, in Unternehmen ohnehin. Eingreifer und Gesichtswahrer, narzistische Egomaximierer, von Macht getrieben, zerstören sie die für Entwicklung erforderliche Turbulenz, die jede Frühphase des Neuen, eines Produkt- und Lebenszyklus charakterisiert, die dauernde Transformation. Keine Toleranz für das Nicht-Errechenbare, für echte Unsicherheit. Zu Tode regulieren. Meister der „Planungssicherheit“. Der MBA lernt das Jonglieren mit Zahlen. Die Bolognaner wissen was zu tun ist – die Hunduns („Kinder“) ihre Opfer. Turbulenz und Redundanz und Vielfalt müssen weg. Erhöhen wir doch die Steuern in der Krise. Wozu? Schulden abbauen. In einer Wirtschaft, die nicht mehr wächst.
Was raus kommt aus all diesem geschäftigen Tun: Quasi-tote Systeme ohne Entwicklungskraft und Evolutionsvermögen. „Am siebten Tag war GM tot.“ Tod der Zukunft durch die Gegenwart. Negative Evolution.
Für alle Systeme gilt die Hundunlogik. Die Entfaltung ihrer schöpferischen Kraft wird ausgebremst und ausgebohrt und ausgetrickst. „Im Anfang war die Tat“ (Faust) – des Nicht-Tuns.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen